NRW-Gesundheitsminister Laumann übt deutliche Kritik an neuem Qualitätssicherungsverfahren Psychotherapie

Deutsche Psychotherapeuten befürchten hohen bürokratischen Aufwand ohne Nutzen

Bonn, 11.04.2024 – Der nordrheinwestfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat in einem Schreiben an ein Mitglied des Deutschen Psychotherapeuten Verbandes deutliche Kritik an der Erprobung des neuen QS-Verfahrens geäußert. Die Position wurde von der Pressestelle des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen bestätigt.

Karl-Josef Laumann kann die Sorgen der Psychotherapeuten in NRW sehr gut nachvollziehen. Er schreibt: „Eine Erprobung des Verfahrens in allen ambulanten psychotherapeutischen Praxen für Erwachsene in NRW – mit hohem Aufwand in der Dokumentation – wird zu einer großen Belastung der Praxen und damit möglicherweise zu einer Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung führen.“

Seine Bedenken äußert er insbesondere angesichts der aktuellen Versorgungssituation, in der viele Patienten lange auf den Beginn ihrer Psychotherapie warten müssen. Der Minister hält die Vorgehensweise für „unangemessen“. Er versichert den Psychotherapeuten in Nordrhein-Westfalen: „Sie können sich dabei sicher sein, dass ich mir der besonderen Belastungen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in NRW bewusst bin, die bereits jetzt aus der steigenden Nachfrage nach ambulanten Psychotherapien erwächst.“

Laumann hofft, dass eine Überarbeitung des Beschlusses vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) veranlasst wird. Er weist darauf hin, dass seine Mitarbeiter bereits vor einigen Wochen ihre Bedenken schriftlich gegenüber dem zuständigen Bundesgesundheitsministerium (BMG) geäußert haben. Hierbei ging es einerseits um eine gerechtere Verteilung der Belastungen im gesamten Bundesgebiet und andererseits um die methodische Frage, warum in einem Bundesland eine Vollerhebung durchgeführt werden muss.

Der Vorsitzende des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerkes (DPNW) Dieter Adler begrüßt die deutlichen Minister-Worte: „Karl-Josef Laumann hat vollkommen recht, wenn er den enormen bürokratischen Aufwand, die Ballung der Erprobung auf Nordrhein-Westfalen und die Gefahr der schlechteren Versorgung kritisiert. Dies entspricht ganz und gar unserer Einschätzung. Wir hoffen, dass sein Wort Gewicht hat und zu einer Überarbeitung oder Abschaffung des überflüssigen Aufwands führt.“

Bei einer Umfrage des DPNW aus dem Jahre 2022 lehnten 83 Prozent der 2.000 befragten Psychotherapeuten das neue QS-Verfahren ab.

Adler kritisiert: „Wir sind nicht im Hotelgewerbe, in dem das Ambiente und das Personal bewertet wird. Bei einer Operation oder einer Zahnwurzelbehandlung lassen wir auch nicht die Patienten darüber entscheiden, ob die Behandlung qualitativ gut war oder nicht. Das führt zu einer Jamedaisierung der Psychotherapie. Das ist weder im Sinne der Patienten noch im Sinne einer qualitativ hochwertigen Behandlung.“

Zum Hintergrund

Die Einführung eines neuen Qualitätssicherungsverfahren ist ein Gesetzesbeschluss der aus den Jahren von Jens Spahn als Gesundheitsminister herrührt. Zuständig für die Umsetzung ist der Gemeinsame Bundesausschuss. Dieser beauftragte das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Das IQTIG legte ein Modell vor, bei dem 101 Datenfelder von Patienten für jede individuelle Therapie befüllt werden sollen (davon 89 händisch). Der Prozess sieht bei schlechten Bewertungen durch die Patienten unter anderem Sanktionsmaßnahmen bis hin zum Verlust der Zulassung von Psychotherapeuten vor.

Der studienbegleitende Evaluationsforscher Dr. Uwe Kleinemas kam zu folgendem Schluss: „Das Verfahren zur Patientenbefragung hat für die Qualitätssicherung psychotherapeutischer Tätigkeit keine Zukunft, da aufgrund des eklatanten Mangels an Akzeptanz die Eignung des Instruments generell bezweifelt werden muss.“ Hingegen: „Das bestehende Gutachterverfahren kann unter Berücksichtigung von Reformschritten auch weiterhin eine bedeutsame Säule der Qualitätssicherung darstellen.“

Adler resümiert: „Es ist gut, dass auch andere erkennen, dass das neue QS-Verfahren keinen Mehrwert hat. Wir werden ohne Wenn und Aber gegen diese Befragung der Patienten kämpfen. Vielen Patienten ist nicht bewusst, dass eine schlechte Bewertung zu Bestrafungen ihrer Therapeuten führt. Hier ist Aufklärung notwendig. Zum Schutz der Patienten und der Behandler wehren wir uns gegen das neue aufwändige Verfahren. Deshalb sagen wir als Verband, Nein zur Patientenbefragung!“

Über den Verband

Das „Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk – Kollegennetzwerk Psychotherapie“ (DPNW) wurde am 02.05.2019 in Bonn gegründet. Es hat über 2.300 Mitglieder und 13.000 Abonnenten seines Freitags-Newsletters. Damit ist der DPNW drittgrößter Berufsverband im Bereich Psychotherapie. Der Vorstand besteht aus: 1. Vorsitzender: Dipl.-Psych. Dieter Adler, 2. Vorsitzende: Dipl.-Psych. Claudia Reimer, Dipl.-Päd. Sevgi Meddur-Gleissner. Mehr unter: www.dpnw.de